"Archäologie ist wie Rätsellösen"

19.12.2023 / Lesezeit: 4 Minuten

 

Sascha Schmidt ist Projektleiter für Archäologie entlang der SEL und mit der Sicherung der archäologischen Relikte beauftragt. Im Interview gibt er Einblicke in die Aufgaben der Archäologie und berichtet von spannenden Funden.

 

Bevor eine Leitung gebaut wird, setzt terranets bw umfassende Vorarbeiten und Untersuchungen zum Arten- und Bodenschutz sowie auch archäologische Untersuchungen um. Sascha Schmidt ist studierter Archäologe und Geschäftsführer der fodilus GmbH, die zusammen mit Archaeotask GmbH die archäologischen Untersuchungen an der SEL vornimmt.
Als Gesamtprojektleiter für Archäologie entlang der SEL gibt Sascha Schmidt im Interview Einblicke in die Aufgaben der Archäologie und berichtet von spannenden Funden.

Warum sind archäologische Untersuchungen wichtig?

Der Neubau von Infrastruktur berührt teilweise Flächen, in denen sich Kulturdenkmäler wie archäologische Funde befinden. Im Zuge der Planung werden diese Flächen erhoben. Dann wird in der Trassenplanung vor dem Genehmigungsverfahren abgewogen: wird der Verlauf angepasst oder werden archäologische Untersuchungen durchgeführt und die Funde dokumentiert? Liegt die Genehmigung für den Bau eines Abschnitts vor, führt der Vorhabenträger – bei der SEL terranets bw – zusätzliche Untersuchungen durch. Hier gehen unsere Fachleute dann den Arbeitsstreifen entlang des Trassenverlaufs ab und markieren bisher nicht bekannte Fundstellen für neue Untersuchungen.

Wie identifizieren Sie die Grabungsorte?

Tatsächlich ergeben sich die Grabungsorte zunächst aus den Auflagen des zuständigen Landesamts für Denkmalpflege. Im Landesamt für Denkmalpflege gibt es Aufzeichnungen aus über 200 Jahren über bereits bekannte Denkmäler. Die werden dort gesammelt und kartiert. Aus diesem Archiv schöpft die Denkmalpflege, wenn sie dazu auffordert, potenzielle Fundorte zu untersuchen.

Was bedeutet Ausgleichsmaßnahme bei archäologischen Untersuchungen?

Sie können Kulturdenkmäler im Boden nicht umsiedeln. Sie befinden sich immer an Ort und Stelle und werden durch Baumaßnahmen dann auch an dieser Stelle zerstört, sofern eine Verlegung der Baumaßnahme nicht sinnvoll ist. Durch unsere Dokumentation bergen wir das Wissen. Wir schreiben Berichte, machen Fotos und führen Messungen durch. So bleiben Kulturdenkmal und Fundstücke für die Nachwelt erhalten.

Wie erfahre ich, ob auf meinem Grundstück archäologische Untersuchungen stattfinden?

Die Auftraggeberin – bei der SEL ist es terranets bw – meldet die Untersuchung bei den Eigentümer:innen und den Bewirtschafter:innen an. Wir betreten die Flächen erst, wenn wir von den zuständigen Kolleg:innen aus dem Wegerecht „grünes Licht“ bekommen. Vorher fangen wir nicht an. 

Wie gehen Sie bei Funden auf öffentlichen oder privaten Flurstücken vor?

Eine Fundstelle kann sich über mehrere Flurstücke erstrecken, ganz gleich, ob privat oder öffentlich. Die Verbindung des einzelnen Fundes zu einem bestimmten Flurstück ist für uns daher nicht so relevant. Die Information der Eigentümer:innen und Bewirtschafter:innen erfolgt bei öffentlichen und privaten Flurstücken gleichermaßen und auch unser Vorgehen ist gleich. Für eine steinzeitliche Siedlung zum Beispiel sind heutige Grundstücksgrenzen irrelevant. Wenn wir etwas finden, versuchen wir größere Verbindungen unabhängig von Grundstücksgrenzen herzustellen. Im Übrigen gilt bei Fundstücken in Baden-Württemberg ohnehin eine eindeutige Regelung: Sie gehören alle dem Land. 

Welche Gerätschaften kommen bei Ihnen zum Einsatz? 

Zunächst kommt erstmal ein Bagger und öffnet die Fläche. Das heißt, so eine archäologische Untersuchung ist für den Laien nur schwer vom eigentlichen Trassenbau zu unterscheiden. Dann benötigen wir viel Vermessungstechnik, Fotografie, Kameradrohnen für Aufnahmen von oben. Dazu kommt dann noch das Werkzeug für die Handarbeit. Die Kunst für den wissenschaftlichen Leiter vor Ort ist, zwischen Großbagger und Zahnarztbesteck die richtige Wahl der Mittel zu treffen.

Wie laufen die Untersuchungen entlang der SEL? Gab es bereits interessante Funde oder rechnen Sie mit besonderen Vorkommnissen? 

Südlich von Leingarten gab es gleich mehrere spannende Funde. Wir haben Schleudergeschosse aus gebranntem Ton gefunden. Man hat sich damit offensichtlich viel Mühe gemacht. Denn ein einfacher Flusskiesel hätte den Zweck genauso gut erfüllt. Wenn Sie also jemanden haben, der tatsächlich Geschosse und Munition aus gebranntem Ton herstellt, dann war es den Menschen wichtig, gleich schwere und gleichförmige Geschosse zu produzieren.

Wir haben auch eine Gussform gefunden. Man findet sie immer mal wieder, denn wenn sie Bronzeguss betreiben wollen, brauchen sie eine Gussform. Aber die Form, die wir im Bereich der SEL gefunden haben, ist ganz besonders: Sie wurde für den Serienguss von Bronzelanzen benötigt. Das ist ein sehr seltenes Stück. Es belegt, dass ein Werkzeugmacher als Zulieferer einer spätbronzezeitlichen Rüstungsmanufaktur tätig war. Es wurden bisher insgesamt nur zwei weitere Gussformen dieser Art in Baden-Württemberg gefunden.

Bei Grabungen bei Freiberg am Neckar haben wir frühmittelalterliche Gräber gefunden. Diese sogenannten Steinkistengräber und Erdgräber stammen aus dem 7. Jahrhundert nach Christus. Wir haben dabei die Bestattung eines Pferdes entdeckt. Auch ein Kind wurde hier bestattet; ihm wurden ein Goldohrring mit einer Bernsteinperle, eine Glasperlenkette und ein Messer als Grabbeigaben beigelegt.

Sind es Funde wie dieser, die Sie antreiben? Was macht den Beruf des Archäologen aus?

Die Dinge, die wir finden, sind unfassbar alt. Wir sichern Informationen, die sonst einfach weg wären. Außerdem ist es vielseitig, es gibt viel praktische Arbeit, man arbeitet viel draußen, man hat mit unterschiedlichen Menschen zu tun, mit Werkzeugen, mit täglich wechselnden Aufgaben. Wir versuchen die Geschichte von Menschen zu erzählen; wie Menschen gelebt und gearbeitet haben. In einer Zeit, in der es keine schriftlichen Aufzeichnungen darüber gibt. Es ist ein ständiges Rätsellösen. Archäologie ist nichts für Menschen, für die es wichtig ist, dass Dinge beim ersten Mal erklärbar sind oder funktionieren. Aber für diejenigen, die in der Lage sind, wieder aufzustehen, nachdem sie hingefallen sind, sich die Hose abzuklopfen und es nochmal zu versuchen – die sind bei uns herzlich willkommen.

Gibt es innerhalb Ihres Teams fachliche Spezifizierungen für Steinzeit, römisches Zeitalter, Weltkriege, Germanen, etc. oder muss jede:r alles kennen?

Bei uns arbeiten Spezialist:innen für verschiedenen Epochen. Wir haben eine Kollegin, die spezialisiert ist für den Übergang von den Kelten zu den Römern. Oder einen anderen Kollegen, der den Übergang von den Römern zu den Alemannen bestens kennt. Jede:r von uns hat eine Hauptspezialisierung plus Kenntnisse aus einem zweiten oder dritten Bereich. In einem Team mit ungefähr 50 Leuten kriegen Sie alle Zeiten zusammen. Auf der SEL sind wir momentan mit 30 Leuten im Einsatz.

Zu guter Letzt die Frage nach ihrem spannendsten Fund. Sind Sie mal auf Gold gestoßen?

Die Frage nach dem Gold ist ein Klassiker, das werden wir dauernd gefragt. Funde sind bei uns tatsächlich nur Mittel zum Zweck, wir versuchen die Strukturen dahinter zu lösen. Manchmal finden wir jedoch Dinge, die besonders sind. Wir haben beispielsweise mal uralte Möbelhölzer in einem verfüllten Brunnen gefunden. Wenn sie sowas in den Fingern haben und wissen, das ist jetzt 2.200 Jahre alt, ist das ein besonderer Moment. Und es war natürlich schön, etwas in einem Brunnen zu finden, von dem es in Baden-Württemberg genau ein Vergleichsobjekt gibt. Der steht im Landesmuseum Württemberg und ist vor über 35 Jahren gefunden worden.

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