„Man muss zuhören können“

15.12.2022 / Lesezeit: 7:30 Minuten

In den Planungen zum Wegerecht entlang der SEL setzt terranets bw auf den Experten Andreas Johnen. Worauf kommt es bei dieser Aufgabe genau an?
 

Andreas Johnen aus Herzogenrath bei Aachen ist Wegerechtler bei DMT Engineering Surveying GmbH & Co. KG mit Sitz in Herne und unterstützt die terranets bw in den Planungen zum Bau der Süddeutschen Erdgasleitung (SEL). Der gelernte Jurist ist seit 20 Jahren beruflich in Infrastrukturprojekten im In- und Ausland zuhause und gewährt in diesem Interview Einblicke in seinen Beruf und seine Tätigkeiten entlang der SEL.


Herr Johnen, was ist ein „Wegerecht“?

Das Wegerecht ist die Beschaffung der Rechte, die benötigt werden, um Infrastrukturen zu bauen und dauerhaft gesichert betreiben zu können. Dabei kann es sich beispielsweise um die Rechte für eine Eisenbahntrasse, einen Flughafen oder -wie im Fall der SEL- eine Pipeline handeln.

Wegerecht beinhaltet neben dem Rechteerwerb für den dauerhaften Betrieb aber auch, dass temporär Flächen für Zufahrten, Arbeitsstreifen und Bauraum für den Zeitraum der Bauphase genutzt werden können.


Welche Aufgaben haben Sie als Wegerechtler innerhalb dieses Prozesses?

Ich bekomme von der Vorhabenträgerin terranets bw die Planungen zur Verfügung gestellt und schaue mir die geplante Trassenführung an. Mit einer gewissen Erfahrung erkennt man häufig sehr schnell, innerhalb welcher Flächen der Erwerb der Wege- und Leitungsrechte gut funktionieren wird, und wo sich der Prozess vielleicht schwieriger gestalten wird, etwa weil Flächen unterdimensioniert sind. Unser grundsätzliches Ziel ist es, Flächen so wenig wie möglich zu beanspruchen und Eingriffe so gering wie möglich zu halten. Daraus folgt, dass wir genau prüfen, welche Flächen wie beansprucht werden, z.B. um sogenannte „Kleinstbetroffenheiten“ zu vermeiden. In der Regel werden Flächen, die dauerhaft für den Betrieb einer Leitung benötigt werden durch den Eintrag einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit im Grundbuch gesichert. Der Kauf von Flächen ist beim Bau einer Pipeline jedoch die Ausnahme.


Was heißt das konkret in der Praxis?

Meist bin ich ab Beginn des Projektes mit dabei. Im konkreten Fall der SEL-Planungen konnte ich bei den Informationsveranstaltungen für Bürgerinnen und Bürger entlang des Abschnitts von Mannheim bis Hüffenhardt vor Ort erste Kontakte knüpfen.

Wenn die Pläne dann konkret sind und wir Betroffenheiten eindeutig erkennen können, informieren wir die Eigentümer:innen entsprechend. Heißt, mit einem ersten Schreiben kündigen wir an, dass der Rechtserwerb für die Flächen beginnt, stellen unsere Kontaktperson vor und erklären das weitere Vorgehen. Am Anfang steht dann in der Regel eine telefonische Kontaktaufnahme. Über diesen ersten Kontakt per Telefon können meist schon erste Fragen beantwortet und oft auch Unklarheiten beseitigt werden. Man kommt auf diese Weise schon ins Gespräch. Zu dessen Fortsetzung vereinbart man dann zumeist einen persönlichen Termin. Je früher wir mit den Menschen vor Ort sprechen, desto eher ergeben sich wichtige Fragen und wir können uns Gedanken machen, wie wir damit umgehen und welche Lösung wir finden können. Denn oftmals kommen über die Gespräche Details zutage, die sich aus Karten und anderem Material nicht ermitteln lassen und die oftmals nur ortsansässige Personen kennen; ein Beispiel dafür sind Drainagen.

Wichtig ist uns, dass während des Projekts alle betroffenen Eigentümer:innen und Bewirtschafter:innen feste Ansprechpartner:innen haben, ihnen alle notwendigen Unterlagen vorliegen und sämtliche Fragen so beantwortet werden, dass jeder der Betroffenen weiß, welche Schritte als nächstes geplant sind.


Welche persönlichen Eigenschaften sind in Ihrem Beruf wichtig?

Wenn Sie meine Frau fragen, was ich mache, würde sie sagen: Der geht beim Bauern Kaffee trinken. Da ist auch etwas dran: Man muss zuhören können und authentisch sein. Sie müssen sich beim Wort nehmen lassen. Die Menschen wissen, dass in großen Projekten nicht immer alles glatt läuft, dass Fehler passieren können. Aber sie sollten immer das Vertrauen haben, dass in einem solchen Fall jemand für sie da ist und sich ihrer Belange annimmt; auch gegenüber der Vorhabenträgerin. Denn nur, wenn man als Wegerechtler gegenüber der Vorhabenträgerin z.B. Herausforderungen vor Ort mitteilt, können gemeinsame Lösungen gefunden werden, mit denen alle Beteiligten zufrieden sind. Manchmal rufen mich nach Jahren noch Eigentümer:innen an oder laden mich auf ein Glas Wein ein – das freut mich natürlich sehr.


Zuhören setzt Interesse an den Menschen voraus.

Ja, auf jeden Fall. Denn ich muss mich der Belange der betroffenen Person annehmen. Sie müssen erkannt und ins Projekt eingebracht werden. Es wartet ja niemand auf solch ein Projekt und freut sich, dass nun ein Arbeitsstreifen auf seinem Acker eingerichtet wird.  Nehmen wir das bereits erwähnte Beispiel der Drainagen: Wenn über das Zuhören und das gemeinsame Gespräch etwa – die bislang unbekannten – Drainagen ans Tageslicht kommen und die Angst ausgedrückt wird, dass diese nach dem Bau nicht mehr funktionieren oder nicht fachgerecht in Sammler eingebunden werden, dann kann ich den Punkt mitnehmen und prüfen, ob sich eventuell irgendwo noch alte Pläne oder altes Wissen findet. Bestenfalls können die Drainagen dann in die Planung eingearbeitet werden. So wird aus dem Zuhören für den/die Betroffene:n sozusagen das sprichwörtliche Bild, das mehr als tausend Worte sagt: er oder sie sieht, dass die Belange berücksichtigt worden sind. Wenn Sie kein Interesse am Zuhören haben und damit dann auch womöglich keine weiteren Fragen ableiten können, dann können Sie Menschen nicht dort abholen, wo sie als Betroffene abgeholt werden wollen- und nach meiner Erfahrung auch abgeholt werden müssen. Neben dem Zuhören ist auch die Geduld für den anderen gefordert.


Sind Sie enttäuscht, wenn kein Vertragsabschluss erfolgt?

Natürlich ist es schade, wenn meine Überzeugungskraft nicht gereicht hat. Letztlich kann jede Person selbst entscheiden, ob sie ein Angebot annimmt. Wichtig ist es, den Eigentümer:innen und Bewirtschafter:innen  ein angemessenes Angebot zu machen und transparent miteinander umzugehen. Das ist bei mir immer der Fall.

In Fällen, in denen keine gemeinsame Lösung gefunden werden kann und es zu Enteignungen kommt, gilt natürlich ebenfalls der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des geringstmöglichen Eingriffs. In der Regel beschränkt sich das Recht dann auch hier auf die Einräumung der genannten „beschränkt persönlichen Dienstbarkeit“. Damit ist das Grundstück für den Leitungsbetrieb nutzbar. Manche denken dann bei dem Wort „Enteignung“, dass Ihnen das Grundstück insgesamt genommen würde. Das geht schon rechtlich nicht, wenn ich mit einer Dienstbarkeit auskomme. Andererseits: Ohne diese Möglichkeit wäre in Deutschland wohl keine Eisenbahnstrecke und keine Autobahn gebaut worden, ganz zu schweigen von den Leitungsnetzen. Die Gasinfrastruktur ist national wie auch europäisch von immenser Bedeutung. Auch wenn man ihr momentan beim Übergang zu regenerativen Energieträgern hier und da überdrüssig ist, sie hat die Kraft, uns auf dem Weg ins Wasserstoffzeitalter nach vorne zu katapultieren. Dies gilt auch für die SEL, die für die Anbindung des Südens an ein Wasserstoffnetz – aus meiner ganz persönlichen Sicht – wie gerufen kommt.



Seit rund einem Jahr arbeiten Sie jetzt mit terranets bw zusammen, um das Wegerecht für den Bau der SEL herzustellen. Wie sind Ihre ersten Erfahrungen?

Ich durfte bereits einige Bürger:innen persönlich kennenlernen. Die Gespräche sind zum Teil sehr kontrovers, jedoch zugleich immer sehr konstruktiv. Aufgrund der frühen ersten Öffentlichkeitsbeteiligung im Abschnitt Mannheim - Hüffenhardt konnten wir in gemeinsamen Gesprächen zusammen mit den Eigentümer:innen und Bewirtschafter:innen Punkte herausarbeiten, auf die wir besonders achten müssen, und für viele auch bereits zusammen Lösungsmöglichkeiten finden. Mein Anspruch ist es nun, örtlich näher an das Projekt heranzurücken. Wenn mich ein:e Bürgermeister:in, ein:e Eigentümer:in oder ein:e Bewirtschafter:in anruft, weil spontan ein Zeitfenster frei ist, möchte ich nach Möglichkeit schnell und persönlich zur Verfügung stehen.


Was sind für Sie die größten Herausforderungen bei der SEL?

Auf dem Leitungsabschnitt von Siegelsbach bis nach Esslingen a.N. ist mir aufgefallen, dass viele Menschen über die Gültigkeit des Planfeststellungsbeschlusses aus dem Jahr 2010 gar nicht mehr Bescheid wissen. Auch, weil terranets bw die Planung von den ehemaligen Vorhabenträgerinnen, der OGE und Wingas, übernommen hat. Deshalb machen wir jetzt viele Gesprächstermine und informieren über die Situation, auch durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit. Auf dem Abschnitt von Löchgau nach Esslingen a.N. informieren wir Anfang 2023 bei mehreren Infoabenden über das Projekt und den Beginn des Rechteerwerbs auf diesem Abschnitt.


Wie können betroffene Eigentümer:innen und Bewirtschafter:innen Sie erreichen?

Generell gilt, dass wir auf diese Personen persönlich zugehen, sobald die Planung hinreichend konkret ist. In dem Informationsschreiben nennen wir dann die Kontaktdaten des/der persönlichen Ansprechpartner:in. Besonders freue ich mich, wenn ich weitere Eigentümer:innen und Bewirtschafter:innen auch bei den Info-Veranstaltungen persönlich kennenlernen darf, um weitere Gespräche führen zu können. 


Vielen Dank für das Gespräch, Herr Johnen.

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